Einblicke in meine Doktorarbeit in Tübingen (2007-2010).
Die Steuerung von Hand- und Armbewegungen mithilfe von Sinnesinformationen läuft im alltäglichen Leben eher beiläufig ab. Wir schauen uns nicht bewusst erst einmal jeden Gegenstand an nach dem wir greifen und trotzdem gehen die Bewegungen selten fehl. Die Komplexität der zugrundeliegenden Gehirnprozesse wird einem erst dann klar, wenn man versucht einem Roboter entsprechend flexible Bewegungen beizubringen, oder wenn man sich die Vielfalt der Krankheitsbilder anschaut, die aus Fehlfunktionen dieser Prozesse resultieren können.
„Reichst Du mir bitte die Butter?“ Eine häufige Frage am Frühstückstisch, der ohne großes Nachdenken entsprochen wird. Doch „ohne Nachdenken“ heißt nicht, dass unser Gehirn dabei untätig ist. Ganz im Gegenteil: Wir lokalisieren die Butterdose mit unserem Sehsinn und die Position unserer Arme wird dem Gehirn mittels Seh- und Haltungssinn (auch Propriozeption genannt) mitgeteilt. Daraus wird berechnet, wie wir unsere Muskeln aktivieren müssen. Während der Bewegung überwachen Haltungs- und Sehsinn stets die aktuelle Position und Konfiguration unserer Hände und die Muskelanspannung wird wenn nötig angepasst. Diese Prozesse werden unter dem Begriff Sensomotorik zusammengefasst, da sie die Verbindung zwischen Sensorik (die Gesamtheit aller Sinnesinformationen) und Motorik (die Ansteuerung der Muskeln) bilden.
Wo genau im Gehirn jedoch diese Prozesse ablaufen und wie sie im Detail aussehen, das verstehen wir bis heute nur ansatzweise. Ziel meiner Doktorarbeit war es, Areale zu identifizieren, die für die Verarbeitung von visuellen und propriozeptiven Informationen zur Bewegungssteuerung grundlegend sind. Der dafür relevante Bereich – der Scheitellappen – liegt direkt zwischen visuellen und motorischen Gehirnarealen, und Schädigungen in diesem Bereich (z.B durch einen Schlaganfall) führen zu neuropsychologischen Störungen wie beispielsweise der optischen Ataxie. Patienten mit dieser Störung können visuelle Informationen nicht mehr vollständig zur Steuerung ihrer Bewegungen nutzen, obwohl weder rein visuelle noch rein motorische Defizite vorliegen. Sie müssen beispielsweise die Butterdose stets bewusst im Blick behalten, um nicht danebenzugreifen.
Warum untersuchen wir dann nicht einfach Patienten, die sensomotorische Störungen aufweisen – dies sollte uns schließlich zu den gesuchten Gehirnarealen führen? Die Hirnforschung am Menschen nahm mit neuropsychologischen Untersuchungen ihren Anfang, und auch heute noch liefert sie wichtige Hinweise auf Gehirnfunktionen. Allerdings führt ein Schlaganfall meist zur Schädigung größerer Gehirnareale und stört somit mehrere Funktionen gleichzeitig. Außerdem ist das Gehirn ein flexibles Organ, und bei Schädigung eines Areals wird die Arbeitslast teilweise umorganisiert, so dass gesunde Teile ausgefallene Funktionen übernehmen können. Dies schränkt die Möglichkeiten neuropsychologischer Untersuchungen stark ein, weswegen zusätzlich komplementäre Untersuchungen an gesunden Menschen vorgenommen werden.
Die „perfekte“ Methode der Hirnfoschung gibt es nicht. Durch die Kombination von funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT, s.u.) und transkranieller Magnetstimulation (TMS, s.u.) konnte ich jedoch Erkenntnisse gewinnen, die über das hinausgehen, was eine einzelne Methode zu leisten vermag.
Aktuell ist die fMRT die am häufigsten eingesetzte Methode in der menschlichen Hirnforschung. Sie macht Gehirnregionen sichtbar, die bei der Ausführung der untersuchten Prozesse aktiv sind. Sieht man in Zeitungsartikeln Illustrationen von Gehirnaktivität, oft als bunte Flecken auf einem grauen Gehirn, so basieren diese Bilder meist auf fMRT Untersuchungen. Allerdings kann diese Technik neuronale Prozesse nicht direkt abbilden, sondern misst die Veränderung in der Blutzufuhr. Da aktive Gehirnareale verstärkt mit sauerstoffreichem Blut versorgt werden, gibt dies nun indirekt Aufschluss darüber, welche Areale gerade aktiv sind. fMRT ist die Methode mit der höchsten räumlichen Auflösung (bis hinunter in den Kubikmillimeterbereich), die nicht-invasiv am gesunden Menschen eingesetzt werden kann. Sie hat jedoch den Nachteil, dass sie die Gehirnaktivität nur indirekt misst und auch Gehirnregionen sichtbar macht, die nur am Rande mit dem eigentlich untersuchten Prozess beschäftigt sind.
Bei TMS wird eine Magnetspule am Kopf angelegt, welche mittels magnetischen Pulsen die Gehirnaktivität direkt unter der Spule kurzfristig stört. Dadurch lassen sich in einem zeitlich eng begrenzten Rahmen ähnliche Symptome hervorrufen, wie sie bei Gehirnschädigungen auftreten. Diese Symptome sind wesentlich schwächer, jedoch werden Nachteile neuropsychologischer Untersuchungen umgangen: Die Störungen können an vorher definierten Arealen vorgenommen werden und durch die kurze Wirkungsdauer findet im Gehirn keine Umorganisation statt. Da die Spulen jedoch großflächige Magnetfelder bis zu 10cm Durchmesser erzeugen, hat diese Methode traditionell keine gute räumliche Auflösung. Im Gegensatz zu fMRT erlaubt TMS jedoch direkt kausale Rückschlüsse auf die Notwendigkeit von Gehirnarealen: Führt die Anwendung von TMS über einem Areal dazu, dass eine Aufgabe nicht mehr richtig ausgeführt werden kann, so kann man darauf schließen, dass dieses Areal notwendig zur Ausführung dieser Funktion ist.
Bisherige fMRT-Studien haben eine Reihe von Gehirnarealen identifiziert, welche sensorische Informationen zur Steuerung unserer Bewegungen verarbeiten. Diese bilden Netzwerke im Gehirn, welche sich von visuellen Arealen über den Scheitellappen bis hin zu motorischen Arealen spannen. TMS-Studien haben gezeigt, dass Areale innerhalb des Scheitellappens für sensomotorische Prozesse notwendig sind. Die genaue Position dieser Areale konnte bisher jedoch nur auf sehr grobe anatomische Regionen eingeschränkt werden wie z.B. „der mittlere Teil“. Die Kombination von fMRT und TMS erlaubte es mir nun, diese Areale wesentlich genauer zu lokalisieren.
In meinen Versuchen haben die Teilnehmer Armbewegungen zu einem visuellen Ziel gemacht. Sie mussten also visuelle Informationen über das Ziel der Bewegung sowie über die Position des Armes, und propriozeptive Informationen über die Armposition verarbeiten. Zuerst wurden mittels fMRT bei jedem Probanden die Gehirnregionen ermittelt, welche bei der Verarbeitung von visuellen Informationen über das Ziel und den Arm aktiv waren. Aus diesen Informationen habe ich dann für jeden Probanden eine Reihe von individuellen Stimulationspunkten für TMS (sprich Aufsetzpunkte der Magnetspule am Kopf) ermittelt, die ein Raster bildeten.
Die genaue Lokalisierung von TMS-Stimulationspunkten ist technisch sehr anspruchsvoll. Auch sind TMS-Messungen zeitlich sehr aufwändig. Daher verwenden die meisten TMS-Studien bisher lediglich einen oder zwei Stimulationspunkte. Das ist jedoch in etwa so, als würde man für die Erstellung eines Höhenprofils der Tübinger Altstadt lediglich die Höhe des Schlossberges und des Neckarufers messen. Durch meine vorherige Mitarbeit an TMS-Projekten im visuellen System wusste ich jedoch, dass ein Raster von TMS-Stimulationsorten die räumliche Auflösung von TMS erheblich erhöhen kann. Die Verteilung des TMS-Effekts über die Rasterpunkte hinweg liefert bis auf wenige Millimeter genau Aufschluss über die Lokalisierung des am stärksten betroffenen Gehirnareals. Die fMRT habe ich dafür wie eine hochauflösende Luftaufnahme verwendet, um markante Punkte in dem Gebiet zu finden, welche dann mit TMS vermessen wurden.
Bei meinen TMS-Experimenten haben die Probanden dieselbe Aufgabe durchgeführt wie im fMRT. Die Störung einiger weniger Gehirnareale mittels TMS führte bei den Probanden zu einheitlichen Defiziten im Bewegungsablauf, welche auf die unvollständige Verarbeitung von entweder visueller oder propriozeptiver Information schließen ließen. Sowohl für die Verarbeitung von visueller Information über das Ziel als auch visueller Information über die Armposition ist das selbe Areal notwendig: die vorderste Spitze des hinteren Scheitellappens. Das scheint auf den ersten Blick nicht sonderlich überraschend, handelt es sich doch beide Male um visuelle Information. Da die Bedeutung der Informationen jedoch grundlegend verschieden ist – sie gibt entweder Aufschluss über unseren eigenen Körper oder die Umwelt – wurde bisher angenommen, dass diese Informationen in unterschiedlichen Gehirnarealen verarbeitet werden. Für die Verarbeitung von propriozeptiver Information ist hingegen eine Region wesentlich weiter hinten im Scheitellappen notwendig. Durch das vorhergehende fMRT sowie die Stimulierung eines ganzen Rasters an TMS-Punkten konnte ich diese grundlegenden Areale auch anatomisch genau lokalisieren.
Mit diesen Ergebnissen kann eine Verbesserung der Diagnostik nach einem Schlaganfall erfolgen: Werden Schädigungen im Scheitellappen festgestellt, dann können passgenaue Rehabilitationsmaßnahmen eingeleitet werden, noch bevor sich eine Störung im Verhalten zeigt. Weiterhin demonstriert meine Arbeit, welchen Mehrwert die Kombination zweier herkömmlicher Methoden wie fMRT und TMS für die Hirnforschung liefert. Meiner Meinung nach hat die „multimodale Bildgebung“, wie die Kombination verschiedener Bildgebungsverfahren auch genannt wird, großes Potenzial für die Forschung am menschlichen Gehirn. Auch wenn die dafür benötigten Experimente gegenwärtig noch sehr aufwändig sind, hoffe ich doch, dass meine Arbeit andere Wissenschaftler inspiriert, diese vermehrt zu nutzen.